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LESEÜBUNG

MAMA MAG TOM
WENN ER DIE MATURA SCHAFFT
PAPA MAG TOM
WENN ER DIE MATURA SCHAFFT
TOM MAG EIN AUTO
WENN ER DIE MATURA SCHAFFT
TINA MAG TOM
WENN ER EIN AUTO HAT
TOM SCHAFFT DIE MATURA
TOM SCHAFFT DAS AUTO
TOM SCHAFFT TINA
TOM SCHAFFT TOM

MOBIL

Wer jemals beobachten durfte, wie an öffentlichen Wasserstellen oder unter Zuhilfenahme von weniger öffentlichen Gartenschläuchen die gelackten Pferde mühsam, aber auch liebevoll, ja, durchaus liebevoll, gestriegelt werden; wer sieht, wie die Mobile stauen auf den ihnen eigens gewidmeten Bahnen, wer riecht, was sie auspuffen, wer hört, wie sie röhren, dem kann widerfahren, daß er einmal staunend dasteht und zu der Frage gelangt: Was macht diese seltsamen Dinger so anbetungswürdig?
Daß in unserem Sprachgebrauch vom ursprünglichen Wort Automobil gerade das Auto übriggeblieben ist und nicht das Mobil, gibt in diesem Zusammenhang schon zu denken.
Der Schwerpunkt liegt hier offensichtlich beim Selbst.
Das erklärt immerhin einiges über diese unsere größte unter den Prothesen.
Zahnersatzteile, künstliche Gliedmaßen und Herzschrittmacher sowie Brillen, Hörgeräte und dergleichen gelten als praktischer Ausgleich für körperliche Mängel. Auch Attrappen wie Schaumstoffbusen, falsche Fingernägel oder Toupets stützen nützlich so manches Ego.
Dem Automobil ist zugute zu halten, daß es beide Bereiche abdeckt, den physischen und den psychischen, was naturgemäß, da der Mensch zum Übertreiben neigt, nicht ohne kuriose Ausuferungen vonstatten fährt.
Was ersteren, den physischen Bereich betrifft, so kann man bekanntlich mit dem Mobil locker Geschwindigkeiten im Sitzen erreichen, die zu Fuß selbst unter größtem Kraftaufwand niemals erreichbar wären, es sei denn, man wandelt in einem fahrenden Zug oder fliegenden Zeug oder auf einem Schwimmdings. Solche Massenverkehrsmittel jedoch muß der Mensch widmungsgemäß mit vielen seiner Spezies teilen, noch dazu haben dabei andere und zumeist völlig fremde Menschen die Macht über Tempo und Richtung, und sowas macht dem Ego wiederum zu schaffen.
Die Beschleunigung menschlichen Fortbewegens wäre ja zeitweise ganz praktisch, wenn sie nicht auch gefährlich wäre, weil manche bald mit ihrer wachsenden Geschwindigkeit nicht fortschritthalten können. Dann wirft es sie aus Bahnen, sie überschlagen sich, sie krachen gegen Hartes und Weiches, zertrümmern oder werden zerschmettert, zermantschen oder enden im eigenen Saft, werden Sieger oder bleiben Verlierer, je nachdem.
Die Kraft, die unter der Kühlerhaube steckt, imponiert nicht mehr, sobald letztere sich inniglich an einen Baum geschmiegt hat, und mit dem Ego ists dann auch nicht mehr weit her.
So ein Ego nährt sich von Präsenz, vom Bemerktwerden. Man kann sich mittels Auto wunderbar optisch aufblähen – das Fahrzeug wirkt an Fahrers Statt stattlich. Für diejenigen, die nicht schauen, macht man Geräusche. Das rasante Quietschen der Reifen beim Starten oder Abbiegen, das monotone Wummern aus Lautsprechern und offenen Autofenstern, den Motorsound verstärkende Manipulationen an Auspuffen und Motoren, schrilles Lacucaracatrompeten und sonores Muhhupen oder auch nur dieses schlichte Tüüt, wie sehr ist uns das alles ans Gehör gewachsen.
Sie lärmen und sie vergasen mit ihren Vergasern im Fahren und im Stehen, daß es keine Freude ist. Neuerdings lärmen sie auch im Stehen und ohne Insassen, dank ausgeklügelter Alarmanlagen, die anschlagen, wenn es ihnen paßt. – Vorwiegend paßt es nachts vor offenen Schlafzimmerfenstern.
Jenen bedauernswerten Mitmenschen, welche weder über Gehör- noch Gesichtssinn verfügen, kann man sich entweder olfaktorisch einprägen oder da und dort einen samt Begleitperson rammen, wenns sein muß.
Sie, die Autofahrer, bezeichnen sich gerne als Melkkuh der Nation – meist im Singular: Alle fühlen sich als eine Kuh!
Mir gefällt dieser Vergleich dennoch, weil er das Rindviehhafte hervorhebt. Für jene, die mich jetzt für einen Automobilhasser halten, möchte ich hier einen Aphorismus von Roda-Roda einfügen, den ich, obwohl ich den Mann nicht unbedingt schätze, oft und gerne beherzige und der da lautet: Sei sparsam, hasse nicht, wo du mit Verachtung auskommst.
Dies war erst die Vorrede, weiter gehts mit einigen Szenen aus dem Autofahrerdaschein:

SZENE 1
Bubi war ziemlich unscheinbar. Damit er endlich scheinbar werde, nahm er sich ein imposantes Gefährt zum Gefährten und fuhr damit, sich als Herrenfahrer fühlend.
Welch ein Anblick, wenn er, die Schlüssel für die Schüssel lässig schwenkend, autobewußt sein Selbst ansteuerte. Welch eine würdige Ouvertüre, dieses Aufschließen der Autotür und das In-Be-Sitz-Nehmen, bevor er lässig zu fahren begann. Und wenn er so fuhr, dann am liebsten mit offenen Fenstern – damit der Fahrtwind ihn hinter den Ohren trockne, meinten dem Bubi nicht wohlgesonnene Nachbarn.
Bubi durfte sich zu Recht einen Meister des Vordrängens und geräuschvollen Anfahrens und Abbiegens nennen. Und wenn es einmal kein fernes Ziel anzufahren gab, dann fuhr Bubi eben ziellos durch die nächste Gegend, vergleichsweise langsam und spähend, ob sich nicht hier und da ein Frauenaugenblick an seinem Gefährt verlöre und ein rasanter Durchstart sich lohne.
Was dem Motor an Lautstärke fehlte, glich Bubi mit Hilfe der Lautsprecher aus – die Betonung liegt hier auf „laut", denn gesprochen wurde durch die Sprecher nichts.
Dies war Bubis Balzverhalten.
Sein Gefieder war Blech und sein Ruf war Dummtschak-Dummtschak.
Sein Revier, so meinte er, wäre überall, wohin sein Gefährt ihn trug. Und hier gelangte Bubi zu einem heiklen Punkt, denn viele andere dachten genauso. Wenn er zum Beispiel sein Blech nicht weiterbewegen durfte, aufgrund des vielen anderen Blechs, das es unbeweglich umgab, da wurde Bubi oft so richtig zum Hupen zumut. Kläglich klangs dann und vielstimmig, denn viele andere fühlten genauso.
Solches konnte Bubis Leidenschaft jedoch nicht bremsen, er kostete sie aus bis zu jenem verhängnisvollen Tag – das Schicksal ist nun einmal ein trunkener Kutscher und Bubi wars damals auch – als dem Bubi sein Schein entzogen ward. Arge Entzugserscheinungen plagten Bubi daraufhin. Anfangs gab er sich noch gesetzestreu – schon allein aus Angst, den Schein für immer zu verlieren – saß Nächte und Feiertage lang seufzend im geparkten Gefährt und ließ nur das Dummtschak ertönen.
Doch bald konnte er nicht mehr anders, es hielt ihn nicht länger auf einem Fleck, er mußte starten, er mußte ausparken, er mußte fahren als freier Ritter der Fahrbahn in seiner Rüstung mit Motor – die grauen Bänder entlang, ohne Zweck und Ziel und so rasant, als wären die Leute von der Exekutive schon hinter ihm her.
Freiheit bedeutet: Ungebremst fahren, daß die Passanten stieben. Doch ists kein Perpetuum das Mobil und verlangt nach Sprit. Auch verheddern sich die grauen Bänder in den Knäueln der Städte, wo überall Hindernisse wachsen.

SZENE 2
Zu behaupten, daß Egon ein verbissener Driver gewesen sei, wäre weit gefehlt, hatte er doch zugunsten eines Automobils auf neues Beißwerkzeug verzichtet.
Nun war er auf seinem fahrbaren Untersatz viel auf den Straßen und lächelte nimmer, weil die Zähne ihm fehlten.
Sein Manta war ihm rollendes Refugium, in ihm war er nicht so unheimlich allein wie daheim, war zwar eingeschlossen aber doch auf der Flucht. Dies zu genießen stieß er ohne wirklich zu müssen immer gerade zur Stoßzeit ins Gewühl des Verkehrs. Dann stand er mit den anderen, glitt, wenn alle glitten, eroberte die Straße in kurzen Stücken, genoß es, kleiner Teil eines großen Ganzen zu sein – ein Erythrozyt in den Verkehrsadern, denn der Manta war rot.
Von erwähntem Egon gäbs auch dann nicht mehr zu erzählen, wenn er nicht auf der Tangente verhungert wäre.

SZENE 3
Christoph, dem agilen, war sein Auto zur mobilen Telefonzelle geworden. Im Stadtverkehr sah man ihn sitzend im sportlichen Zweisitzer und äußerst selten ohne Hörer in der Hand. Zum Steuern und Schalten blieb noch genug Hand übrig. Das fürs Fortbewegen Wesentliche erledigte er ohnehin mit dem rechten Fuß und manchmal auch mit links.
Ein erhebendes Gefühl wars für Christoph, den souveränen, wenn die anderen anerkennend durch Seitenfenster spähten und ehrfürchtig den Blick senkten, ja manche duckten sich sogar, wenn Christoph, der wichtige, energische Blicke zurückstach.
Christoph, der vielgefragte, hätte groß und glücklich sein wollen in all seiner Pracht, allein, er durft es nicht genießen, denn ein schlimmes Ereignis kratzte seit dem Ereignen arg an seinem Selbstbewußtsein.
Was, dachte er, wenn er, gleich einer Figur aus einem billigen Roman, Nacht für Nacht aufschrak, eiskalten Schweiß auf der Stirne, was wird werden, wenn sies erfahren, all diejenen die mich ehren, schätzen und fürchten gelernt haben, und, noch schlimmer, die Feinde, die ich hab, wie meinesgleichen sie allzeit haben.
Immer wieder kroch die Szene aus dem Winkel seines Gedächtnisses, wohin er sie zu verbannen suchte, geradewegs vor sein geistiges Auge.
Entkommen gabs da keins.
Ein fürs andere Mal mußte er geistig zusehen, wie er da an der Kreuzung stand, ein telefonierender Sieger noch, wie diese unselige Frau ans Wagenfenster klopfte, wie er, erstaunt und vollelektrisch das Fenster senkte, wie die Frau, die unselige, etwas von Notfall faselte und sich mit der dringenden Bitte an ihn wandte, er möge einen Rettungswagen herbeitelefonieren, wie er sich wand und als die Frau insistierte und dann sogar partout selber telefonieren wollte, die Umstehenden schon murrten, der eine oder andere bereits den Lynchblick bekam, wie dann die Bedrohung schon sein Auto mitbetraf und er, derart in die Enge getrieben, zerknirscht und mit stark geröteten Ohren zugeben mußte, daß sein Telefon nur eine Attrappe war.

SZENE 4
Von Alberts Buick ragten nur mehr eine schnittige Heckflosse und ein Teil des Wunschkennzeichens aus dem Wasser. Albert war doppelt Mobil gewesen – mit Fahrzeug und Handy. Letzteres hatte er immer ohne Freisprecheinrichtung in Gebrauch gehabt, nicht aus Sparsamkeit, denn er war ein Gutverdiener, und damit dies auch niemandem entging, war er in diesem großen, bis zur Heckflosse schnittigen Buick mit Wunschkennzeichen gefahren und hatte dabei dies kleine teure Handy gern demonstrativ ans Ohr gehalten.
Dem Albert gehörte eine Firma und er meinte, die Leute, welche darin gegen Bezahlung für ihn arbeiteten, gehörten ihm auch.
Solch ein Alberteigener war es schließlich, der den Untergang des Buick samt Mobiltelefon verschuldet hatte, denn über ihn hatte sich Albert im Laufe eines Telefongesprächs im Zuge einer Autofahrt am Kai entlang sehr ärgern müssen, weil jener gewissermaßen eine Unabhängigkeitserklärung abgegeben hatte. Dabei hatte Albert die eine Hand, welche das Lenkrad noch führte, dazu verwendet, sich gegen die Stirn zu tippen, dem Gesprächspartner quasi unbekannterweise den Vogel zu zeigen, hatte wütend auf den Buickboden gestampft, war dabei mit dem Knie ans Lenkrad gekommen, welches dies als Befehl zur Richtungsänderung auffasste und ... platsch!

SZENE 5
Eduard war ein ziemlich fahriger und unduldsamer Fahrer. Hochfahrend wie er war, echauffierte er sich immer viel, wenn er chauffierte, hoffärtig keines Fährnisses und keiner Fahrer neben ihm achtend.
Ihn störten überhaupt alle anderen sehr. All dies Gekreuch, all die unbotmäßig sich auf seinen Wegen Bewegenden, ob auf Beinen, Rädern oder Schienen, waren seine natürlichen Feinde. Immer schimpfte er ausgiebig und gestikulierte wild, wenn er unterwegs war. Denn er, der Auserwählte, dem der Herr einen Wagen gegeben hatte, getrieben von Säften aus dem Innern der Erde, einzig und allein er wußte, wie die anderen Kreaturen sich im Verkehr zu verhalten hatten. Allein, sie spielten nicht nach seinen Regeln, sodaß er ständig zürnen mußte. Diese Frevler setzten sich glattweg hinweg über Gottes Gebot, daß die Straße Eduards sei, und daß ihm allein die Krone gebühre unter den Fahrern, denn sieben Prüfungen hatte er zu bestehen, eh er den Schein eines Führers erlangte. Gerüchte besagen, er habe damals schon den Fahrlehrer beschimpft, als der ihm seinen bereits zu jener Zeit ausgeprägten speziellen Stil abgewöhnen wollte, und später auch den Arzt, der ihm vom Autofahren grundsätzlich abzuraten versuchte, wegen des Herzens und wegen des Magengeschwürs.
Wen nimmt es wunder, wenn Eduards Karosse und zuweilen sogar Edi selber regelmäßig Schrammen davontrugen. Eduards Stammspengler erinnert sich heute noch dankbar an die vielen Aufträge, die ihm jener hat zukommen lassen, und in aufrichtiger Trauer gedenkt er Edis, der nicht überraschend zwar, aber doch ziemlich plötzlich, mitten im Stoßverkehr einem Herzinfarkt erlegen ist.

SZENE 6
Eine wahre und aufrechte, wenn auch vielleicht ein wenig einseitige Liebe verband Rudi mit seinem Auto. Es war auch wirklich ein Pracht- und wertvolles Stück. Allein die technischen Equipments, welche Musik brachten während der Fahrt, waren schon so teuer wie anderer Leute Fahrzeuge.
Deshalb ist Rudis Angst verständlich, wenn er sein Liebstes nächtens in einsamen Straßen parken mußte, denn für einen Garagenplatz hatte Rudi das Geld nicht mehr, wohl aber für eine Alarmanlage, die sein Herzblech zum Quäken brachte, sobald böse Menschen Hand daran legten. Oft pinkelte nur ein Hund an die Karosserie und schon gings los.
So kam es, daß Rudi in vielen Nächten panisch aus dem Bett sprang, dem Hilferuf seines Liebsten zu folgen, um jedes Mal erleichtert zur Kenntnis zu nehmen, daß ihm nichts geschehen sei. Dann beruhigte Rudi mit sanftem, verständnisinnigen Schlüsseldreh das verstörte Quäken, küßte sein Auto auf die Kühlerhaube und ging zu Bett, das nächste Quäken abwarten.
Rudis Nachbarn, ebenso wie Rudi um den Schlaf gebracht, aber weit weniger als Rudi dem quäkenden Mercedes zugetan, waren schon ziemlich erbost über die regelmäßigen Störungen.
Deshalb sprach Rudi zum Mechaniker: „Stell er mir die Alarmanlage so ein, daß sie zumindest nicht auf entferntes Husten und Niesen reagiere!"
Der Mechaniker stellte ein und jetzt reagierte die Alarmanlage nur mehr auf die von vorbeifahrenden Fahrzeugen verursachten Erschütterungen.
Weiterhin zerfaserte Nacht für Nacht das Quäken die Nerven der Nachbarn und selbst die von Rudi schon.
„Nimmermehr!" sprach er deshalb, als in tiefer Nacht sein Liebling wieder einmal rief und stopfte sich Polster in die Ohren.
Seit dieser Nacht hat Rudi seinen Liebling nicht mehr gesehen. Durchgedreht, wie er seither ist, neigt er sogar zu der Ansicht, sein Liebstes habe ihn verlassen, weil ers vernachlässigt hätte.

SZENE 7
Kasulkes standen wieder auf der Autobahn. Würden sie diesmal ans Ziel gelangen, in jenes fremde, unerreichbare Land?
Dieses Jahr war das siebente, in dem Kasulkes es versuchten, doch Papa Kasulkes Urlaub war einfach zu kurz für eine Reise von Berlin nach Italien. Stets hatten sie in Österreich oder manchmal sogar schon in Bayern wieder umkehren müssen, damit Papa daheim wieder rechtzeitig auf Posten war.
Die Kinder murrten schon seit Jahren nicht mehr, sie hatten Italien inzwischen im Fernsehen gesehen und wußten im übrigen: Die Autobahn ist das Ziel!


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