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DER GEIST DER SECHZIGER

Charly hatte an diesem Tag nichts besonderes zu tun – wie die vorigen Tage schon, wie die letzten Wochen eigentlich, wie die vergangenen Monate überhaupt.
Er gab sich den Beat der Stadt und ließ, während er flanierte, die zwei Joints von vorhin einwirken.
Charly: ein Relikt aus vergangenen Tagen, mit langem Gefieder und in seltsamen Gewändern, einer, an dem Jahre der Moden spurlos vorübergegangen waren – kein geschlecktes Kind, wie er selber zu behaupten beliebte.
Er hatte den Geist Woodstocks, der leichten Reiter und der Blumenkraft in sich konserviert und trug dies alles unbeirrt durch die Zeiten, konsequenter als die Gesinnungsgenossen von einst, die er heute allesamt nur mehr als Abstürzler bezeichnen konnte.
In den Sechzigern war seine große Zeit gewesen, das wollte er nimmer vergessen und alle sollten es wissen. Oft warf er, wenn er zuviel des Libanesen intus hatte, seinen erstaunten Mitmenschen urzeitliche Parolen entgegen, wenn er so ziellos durch die Stadt wanderte.
Heute ließ seine Ziellosigkeit ihn in irgendeinen Park geraten, der neben diversen grantigen Alten sowie Hunden und deren Exkrementen sogar ein wenig Platz für Kinder bot. Hier tummelten sich auch wirklich welche mit Prügeln, Stöcken und Plastikgewehren in Händen.
Die Joints von vorhin bewirkten, daß Charly erst ziemlich spät auffiel, welche Art von Spiel die Bürschchen da spielten. Von der Bank aus, auf der er inzwischen Platz genommen hatte, beobachtete er eine Weile belustigt, wie sie da liefen und purzelten, sich erhoben und wieder liefen, dazwischen eigenartige Laute ausstießen, also offenbar in eine gehörige Schlacht verwickelt waren.
Eine Schlacht!?
Da konnte Charly nicht länger zusehen, das ging ihm gar zu arg gegen die Gesinnung, daß die Kinder da früh den Krieg übten.
„Make love not war", pochte es hinter seiner Stirn und schon rief er es laut zwischen die jungen Krieger.
Die kümmerten sich wenig um den Kauz und sprachen weiterhin von bumm und päng und rattata und dubisttot.
Einer war gerade hinter der Bank auf der Charly platzte verschanzt und schüttete Salven aus seinem Plastikgewehr.
Charly stieg auf die Bank, um das, was er zu sagen hatte, durch scheinbare Vergrößerung seiner selbst effektvoll zu unterstreichen und schrie wieder: „Make love not war!"
Der Kleine stutzte, kramte in den Winkeln seines Gedächtnisses nach den Englischkenntnissen, verstand dann, was der aufgeregte Bursche auf der Bank da meinte und fragte: „Und wie?"
Nun war es an Charly zu stutzen: „Was wie?"
„Wie macht man Liebe?" ging der kleine Krieger ins Detail.
Charly nickte nachdenklich. Die armen Menschchen kennen anscheinend Aufklärung nur als Feindbeobachtung, dachte er bekümmert, bevor er daran ging, des Jungmanns Biologiekenntnisse zu ergänzen.
Eine Weile hörte der Kleine interessiert zu, und als er zu dem Schluß gekommen war, daß die Reden des Althippies die Kameraden auch interessieren könnten, stieß er einen schrillen Pfiff aus, auf den zumindest einige der Soldaten reagierten. Bald merkten auch die anderen, daß es dort bei der Bank, auf der der komische Vogel mit dem langen Haar stand, wohl etwas zu hören gab, das man nicht versäumen durfte.
Umringt von einer Schar Buben, die zugunsten der Schilderungen des Apostels den Krieg vergessen hatten, auf offene Fragen noch offenere Antworten gebend, war Charly in seinem Element. – Er überbrachte die Botschaft, sprach von der Liebe, wie er sie kannte. Ein Wegweiser in eine bessere Zukunft war er jetzt.
Die Alte, die eine Weile daneben stand und mit empörter Miene lauschte, ignorierten alle an dem Friedensgespräch Beteiligten. So entfernte sich die Frau bald wieder und richtete erbitterte Worte an ihren Hund, der mit hängenden Ohren vernehmen mußte, in welch verworfene Welt er da geraten war.
Als die Alte dann in Begleitung eines Gesetzesauges zurückkehrte und mit nacktem Finger auf Charly wies, war das uralte Thema zwar noch lange nicht erschöpft, aber die Krieger wußten mittlerweile einigermaßen Bescheid.
Die Runde löste sich dann auf, nachdem der Beamte mit Staatsgewalt dareingefahren war. Zu beweisen war das, was die Alte angegeben hatte, freilich nicht. Charly behauptete dem Manne gegenüber, daß er Märchenerzähler sei, und seine Zuhörerschaft bestätigte das.
Der Sheriff, dessen Meinung von Märchen keine gute war, weil sie ihm in der Kindheit viele Ängste beschert hatten, drang zu der Vermutung durch, daß die alte Dame da etwas mißverstanden haben mußte, konnte aber dennoch nicht umhin, den inzwischen auf der Lehne der Bank sitzenden Charly streng aufzufordern, daß er die Schuhe von der Sitzfläche nehmen solle.
Hätte Charly nicht gar so lange Haare gehabt, wäre auch das unterblieben.
Den Ratschlag, brav zu sein und wieder Krieg zu spielen, wollten die Kinder nicht befolgen.
Der Krieg war heute ihre Sache nicht mehr.
Morgen vielleicht wieder.

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