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DAS JAHR DES FRIEDENS

HARTUNG
Brüderlich feixend schütteln mit klatschendem „Hallo" und „Abgemacht" feiste Männer einander die Hände: der Friede sei mit euch und mit euren Fleischhauern, das Jahr des Friedens ist als ausgebrochen zu betrachten.
Ein Wurstfingerschnippen, lechzende Geste, daß die Hängebacken wackeln, schon wird das Festmahl aufgetragen, das gar so fest nicht sein kann, denn es ist auch Suppe dabei. Führungsspitzen und Spitzenfunktionäre delektieren sich nunmehr an Fischsuppen, tun sich gütlich an gegrillten Täubchen auf Palmblättern, goutieren und schlecken und alsbald sind alle Bäuche voll Frieden, und das ist gut so, denn etliches Gedärm ist mehr gewunden als so manch Gehirn.

HORNUNG
Lieschen, von ihrer Mutter kosend oft Frau Schwätzer genannt, stöbert vorlieblich in alten Kisten, zumal der Dachboden des elterlichen Hauses viele solche Kisten und Liese ungestört birgt.
In alten, verstaubten Folianten kann Liese dort all die verzaubernden Wörter lesen, die aus einer schwachen Liese für Augenblicke eine starke machen, Wörter, welche die Erwachsenen nur hinter vorgehaltenem Gesetzbuch, oder wenn sie sich unbelauscht wähnen, auszusprechen wagen.
Der Zauber der Wörter wirkt auch beim Lehrer, allerdings nicht so, wie Liese sich das vorgestellt hat. Der Pädagoge wird vielmehr zum Berserker und Liese ihm gegenüber ganz klein. „Das haben wir gern, die Behörde und ich", ruft der Schulleiter lodernd in die Klasse, „mit Wörtern wie Gewalt, Mord und Krieg schweinigeln, aber Friede ohne langem i schreiben, Unverschämtheit vermaledeite". Liese wagt noch verschämt die Bemerkung, daß man auch Krieg mit langem i schreibe und schon gibts eine Eintragung im Schülersteckbrief und eine Mitteilung an die Eltern, man wird ja sehen, und im übrigen schreibt man Krieg überhaupt nicht.
Siehe, die Eltern Schwätzer sind außer ihnen. „Liese", sagen die Mutter in verzweifelt hysterischem und der Vater in streng gepreßtem Tonfall, „woher hast du das nur? soll das der Dank sein? Geh in die Ecke und knie auf die Scheiter."
An diesem Tag schwört Liese blutige Rache.

LENZING
Wer A sagt muß auch lkohol sagen, ist die Maxime von Edgar dem Tschecheranten. Betrunken aber wird der Edgar zum Ederl, gebärdet sich wild und grobschlächtig, randaliert in den Straßen auf auffallend ausfällige Weise.
Diesmal haben harmlose Bilder in der Auslage eines Lichtspieltheaters Edes Unmut erweckt: „Woo saan dee Zoombies, da Rocky, de Rocka mid de Foaradlkedn und de Karatekilla. Nix is loos... kaa schwoaze Mess und kaa schreiade Jungfrau mea. Midn Mondo Kannibale is oha, Franknstein schau oowa. Kaa Schädl zablotzt mea in Zeidlupn, kaa Bluat spritzt, kaane Knochn krochn. Auwa heid hau i olle in de Goschn, heid drah i eich haam, kumz hea, wauz eich drauz. Heid hau i ollas zaum, i watschn eich oo, i drid eich en Oasch, wäu des loosi maa ned gfoin... aa Hidla muass hea, aa klaana stoaka. – Aa Fuassboimädsch mid Valezzte wüüli säng oda aa Autorenna mid brennate Wäng... "
Solche Monologe darf Edgar meist im Gefängnis zu Ende rezitieren, da versteht die Exekutive keinerlei Spaß.

WANDELMOND
Filius McO'Benson lebt zeitgemäß, soll heißen vegetarisch, weil Fleisch und Blut nicht unbedingt mit solchen genährt werden muß, soll, darf. Darum wird er auch immer sorgsam die Schnecken aus dem Salat entfernen, der Filius. Ein schwerwiegendes Problem schlägt dem Filius seit geraumer Zeit auf den Magen: Darf ein eingefruchteter Vegetarier embryonale Vögel verzehren oder darf er das mitnichten? Gibt es eine Art oologischer Fristenlösung? Das tierische Ei, so kann Filius dem Lexikon entnehmen, besteht aus Eikern, Eiplasma samt Dotter und aus den Eihüllen. Man darf drei Eitypen unterscheiden, wenn man will: Als erstes das isolezithale Ei, vom zweiten, dem telolezithalen Ei und vom dritten, dem zentrolezithalen Ei, oder das zweite, telolezithale, vom ersten, isolezithalen und dritten, zentrolezithalen Ei, oder auch das zentrolezithale Ei vom isolezithalen und telolezithalen Ei. All das hilft dem Filius nicht weiter, der Gusto und die Ungewißheit bleiben.

WONNEMOND
Die Oma ist schon entmündigt worden, was sie aber nicht am erzählen hindert. Die Kinder hören gern Großmutters Geschichten, worin fantastische Fetzen fliegen.
Da werden viele Falten glatt, sobald sie von kindlichen streichen am Rande der Legalität erzählt. Auch vom Lehrer, der den Rohrstock so elegant geschwungen hat, oder vom gestrengen Pfarrer, der kleine Mädchen gar gerne bei den Ohren gezogen und dabei von einem schrecklich mächtigen, alles vergeltenden, am jüngsten Tag ratzeputz machenden, grimmig allwissenden, fürchterlich donnernden, großmächtig überlegenen, alles schändliche versengenden, Eisen wachsen lassenden, allzeit mit Weihwasser desinfizierten, zornig sturmbereitenden, ewig fingerzeigenden, die Rache allein beanspruchenden, von oben herab lauernden, wütend gerechten, glorreich gepanzerten, furchtbar dräuenden, selbstverständlich hitzebeständigen, sündensuchend allgegenwärtigen, verdammenshungrigen Gott gewettert hat, weiß Oma eindrucksvoll zu schildern. Die gute Frau kennt darüber hinaus noch viele blutige Märchen sowie die deutschen Heldenepen allesamt und erzählt dies alles in solch herrlich brutalem Stil, daß die Kinder ganze Nacht nicht schlafen können.

BRACHET
Der größte Mbuti und der kleinste Tussi können einander nicht in die Augen sehen. Dies beschert den beiden eine gewisse menschliche Distanz voneinander.
Die sowieso verzwickte Situation wird dadurch verkompliziert, daß der größte Mbuti zugleich als Häuptling seines Stammes fungiert – ein Umstand, der den Zwist zum politischen geraten läßt.
Die Lage spitzt sich zu, als bei einem Empfang der Botschafter der Tussi den Häuptling der Mbuti nicht gleich bemerkt und grußlos an ihm vorüberschlendert.
Tags darauf schickt der Obermbuti einen anonymen Drohbrief an den Obertussi, letzterer aber erkennt das offizielle Briefpapier.
Tiefe furchen in den Steppensand schreitend murmelt der Obertussi immerzu: „Verwicklungen, Verwicklungen". Der Obermbuti seinerseits, mit weniger tiefen Furchen auf der Stirn, ruft „Generalmobilmachung" – ein Zauberwort, das er vom Medizinmann kennt, der es wiederum von den Missionaren gelernt hat.
Die UNO will vorerst nicht einschreiten, als aber der Häuptling der Tussi statt eines Wudupüppchens den Botschafter der Mbuti in persona spießt, drohen ernste Auseinandersetzungen, die es zu schlichten gilt.

HEUERT
So ein bis zwei Meter hinter dem grimmig bleckenden Kühlerrost kann das Leben rasend schön sein, wenn man der eigenen Minderwertigkeit davonflitzt und die Realität als Schemen vorbeifliegt.
All die mächtigen Pferdekräfte, Stundenkilometer und Drehzahlen und gar das viele glitzernde Chrom können jeden Zernichtling bedeutend lackeln.
Was zu sagen ist, sagt der Motor.
Sein Autoreifengramm auf jeder Kreuzung zurücklassend darf jemand schon meinen ein Sieger zu sein.
Wehe dem, der sich da in den Weg stellt – ihm wird mit der Lichthupe heimgeleuchtet und mit vollem Folgeton die Meinung trompetet. Für die gebräuchlichen eindeutigen Gesten ist bei schnellem Tempo oft nicht die Zeit.
Das Glück, so weiß man, liegt auf der Straße – manchmal auch daneben.

ERNTING

„So arg wars garnicht", sagt Lieschen Schwätzer, als sie mit einer Kameradin die ersten Schmisse spazierenträgt. Das ist wieder ein Abend gewesen, wie ihn sich die Mädchenschafterinnen wünschen. Hehr und markig ists zugegangen – alles voll des Bieres und der Gesinnung. Man hat geschworen und verurteilt, getrunken, gesungen, einander mit Schmeiß versorgt.
„Wir", erklärt Liese unter bedeutungsvollem Wippen auf den Fußballen, „wir werden Ordnung schaffen oder die Ordnung schafft uns". Wie dies nun genau zugehen soll, weiß Liese nicht mehr so präzis, denn sie kämpft soeben gegen die ehernen und unumstößlichen Gesetze der Schwerkraft – und verliert.
So muß es auch sein.

SCHEIDING
„Hallo? Direktor Kollermann spricht. Hörn se mal, Schmittchen, ich hab da ein Bombengeschäft: zweitausend Kisten Spielzeugpistolen, frisch aus Fernost, sind hier eine Menge wert heutzutage – der Markt gehört uns sozusagen alleine, und wo die herkommen gibts noch mehr, viel mehr... Wie? Kein Bedarf? Papperlapapp, muß man eben wecken, den Bedarf – die uralten Instinkte, Schmittchen... Aber aber, mir werden sie doch nix über Marketing erzählen, Schmittchen – der Kerl aus der Werbeabteilung arbeitet schon die Strategie aus... ja, genau, tüchtiger Mann der... Verboten, meinen sie? Wissense, wenn erstmal der Bedarf da ist... Der Anwalt klärt das bereits... Naja, offen können wir nicht gleich werben für das Zeug, unterschwellig halt... Sag ich ja, zuerst unterschwellig und dann knallhart, hähä... Klar, die Pazifisten müssen wir irgendwie beruhigen, die sind imstande und schlagen mir die Firma kurz und klein... Sie kümmern sich um die Verpackung, Schmittchen – wir verkaufen die Dinger unter dem Namen Peacemaker – gut, nicht wahr?"

GILBHART
Dem Pannonischen Intelligenzblatte vom Zwölften des Monats entnehmen wir:
Am Dienstag voriger Woche ist der Philosoph Professor Dr. phil. Friedhelm Zaddig verstorben. Ein Herzleiden, welches seit geraumer Zeit die Schaffenskraft dieses bedeutenden Mannes hemmte, hat ihn nun endgültig dahingerafft. Die sterblichen Überreste werden übermorgen, dem Testament des Verblichenen entsprechend, eingeäschert und auf sechsunddreißig Urnen verteilt beigesetzt.

In der kunterbunten Illustrierten Die Ganze Mischpoche ist das tragische Ereignis folgendermaßen dargestellt:
Der berühmte Philosoph, Philologe und Philphras F. Zaddig (72) weilt nicht mehr unter uns.
Zaddigs Hausarzt dazu exklusiv zur Ganzen Mischpoche: „Professor Zaddig litt schon seit Jahren an einer chronischen Kardiopathie (Herzleiden, Anm. d. Red.), weshalb ich ihm auch angeraten habe, aufregende Zerstreuung wie Schach oder Tarock zu meiden. So kam es, daß eine harmlose Partie Mensch-ärgere-dich-nicht meinem Patienten zum Verhängnis wurde – naja".
Der Ganzen Mischpoche gelang es, die drei Männer aufzuspüren, die Zaddig bei diesem bereits legendären Spiel Gesellschaft geleistet hatten und erfuhr von den Erschütterten die letzten Worte des großen Denkers. Einer meint, Zaddig habe auf englisch Humbug Ghetto gesagt, der zweite, ein norddeutscher, legt die Worte als „Hamburg geht schon" aus und der dritte besteht darauf, daß Harmagedon (siehe nebenstehendes Bild) gemeint war. – Das Geheimnis jedenfalls hat Professor Friedhelm Zaddig mit ins Grab genommen.

NEBLUNG
Die Jäger atmen auf, sie müssen nimmer darben. Die Zeit des Nägelbeissens ist vorbei, es gibt wieder eppes zu pirschen. Bald soll im Flaggenwald ein Halali erklingen, wie keines noch erklungen ist. Der Ausweidmänner großer Jammer, als Jäger nichts erlegen zu dürfen, gehört nunmehr der Vergangenheit an.
Nach jeder Schonzeit ist schon Zeit, zu jagen.
Die Rufer gegen das Wüste haben einmal mehr das Nachsehen. Chauvinistinnen und Feministen sind einig: Krieger allein genügen nicht mehr, jetzt müssen auch Kriegerlein und Kriegerinnen her.
Patrioten machen sich auf zu den Grenzen, um vom Globus alles wegzumeißeln, was nicht Vaterland ist.

JULMOND
Wohltätig ist des Feuers Macht,
wenn es der Mensch bezähmt, bewacht.
Sobalds wo pumpert oder kracht,
hat jemand etwas falsch gemacht.

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