KRITIKERS IRRTUM
Innerer Monolog:
O-h m-e-i-n G-o-t-t ... Brumm, brumm, Brumm-Schädel ... Und der Mund: trocken, total.
Was war gestern? Hab hoffentlich keine Kritik geschrieben – hehe.
Wenn ich mich nur erinnern könnt.
Ach ja! Die Premiere – und die Feier nachher!
Puh.
Gutes Stück ... lustig ... oder?
Satirisch angehaucht, werd ich schreiben, gute Komödie ... aber ich weiß gar nicht mehr so genau ... Satirisch angesäuselt vielleicht ... hehe?
Starker Abend ... das war's ... könnt ich auch schreiben.
Muss ich eben nochmal im Programmheft nachsehen, was eigentlich war ... Nette Leute jedenfalls ... gastfreundliche.
Haben wir heute oder morgen ... wie spät ist es?
Halbsieben! Verdammt, um acht muss ich im Theater sein ... Premiere ... Kritik schreiben ... dalli.
So machte er sich, nach umständlicher Restauration seines Äußeren und ohne Kaffee auf den Weg zum Theater.
Im Theater irritierte ihn irgendwie, dass gar so wenig Publikum da war, nur dachte er in seinem Zustande, dass das Stück eben entsprechend schlecht sein müsse.
Innerer Monolog:
Saumäßig organisiert. Hab nicht mal einen Billeteur getroffen.
Schlampiges Stück, werd ich schreiben ... Halbheiten ... unausgegoren ... ja!
Unser Kritiker war also um acht Uhr Vormittag mitten in die Aufbauarbeiten für die abendliche Aufführung geraten und durfte auch Reinigungsarbeiten mitverfolgen.
Er legte sich eine vorläufige Kritik zurecht:
Das Stück ist in seiner Aussage und besonders in den Dialogen sehr dünn, daran können auch kraftvolle Inszenierung und originelle Ausstattung nichts ändern.
Die schlichten Monturen der Darsteller sowie das sich ständig verändernde Bühnenbild bringen ein wenig Deftigkeit und Leben ins schwache Konzept.
Die Darsteller jedoch legen allesamt ihre Rollen ziemlich gekünstelt an, plagen sich sichtlich mit dem breiten Dialekt, den der Text vorschreibt.
Schwach auch die Ideen von Autor und Regisseur: Auf der Bühne agieren nur Männer und die einzige Frau im Ensemble hantiert während des ersten Akts im Zuschauerraum mit einem Besen. Sie tut, als würde sie zusammenkehren, wobei aber gleich zu erkennen ist, dass sie's nicht wirklich tut. Das ist wahrhaftig platt, ist nicht ausgereift.
Offenbar ist's eher Unvermögen denn Absicht, dass alles so unecht und leer wirkt.
Unechtes auch bei kurzen Monologen wie jenem: „Jetzt noo aa Stickl umme – hoit – aa Stickl oowe, noo aa Äuzal ... basst!“
Was soll das?
Man kann dem Darsteller – sein Name bleibe hier, wie die aller anderen, unerwähnt – einfach nicht glauben, dass da wirklich jemand oberhalb der Bühne wäre, der ihm zuhört ...
Nach eineinhalb Stunden zeichnete sich noch immer kein Aktschluss ab. Wütend über die ihm vorenthaltene Pause verließ der Kritiker das Theater, dabei bemerkte er, dass das Buffet, welches er noch kurz aufsuchen wollte, nicht besetzt war ... dies gab dem Kritikus den Rest und sein Sodbrennen wurde heftiger ... die Kritik sollte weitaus vernichtender ausfallen, als vorhin zurechtgelegt ...
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