home

ZWISCHEN DEN WELTEN

Das Café ist unter anderem ein Ort, wo zuweilen soziale und intellektuelle Klüfte klaffen, wo ideologische Mauern deutlich spürbar werden und ist ebenso der rechte Ort, um Brücken zu legen über ebendiese Klüfte und Fenster zu brechen durch die Mauern.
Von zweien, die den nämlichen Versuch unternommen haben, will ich hier erzählen.
Ein älterer Herr von der Sorte der humanistisch belesenen Thekenplauderer mit einer Neigung zum Ansäuseln sah ringsum an präsumtiven Gesprächspartnern nur einen Zeitunglesenden, welchen er verständnisinnig in seinem Wissensdrang nicht stören wollte, sowie eine ziemlich beschäftigte Kellnerin, von der er schon beim Bestellen eines kleinen Bierchens und den begleitenden Scherzen bemerkt hatte, daß sie ihm, wenn er sprachlich weiter ausholte, würde nicht ohneweiters folgen können, weil sie des Deutschen nicht genügend mächtig ist, und sah – aha! – einen, der mehr oder weniger wachen Sinnes und müßigen Ganges am Tresen lehnte, der Physiognomie und der Garderobe nach schlichtweg ein Hackla.
Den sprach er an: „Darf ich sie zu einem Getränk einladen?"
Der andere, freundlich aber bestimmt: „Naa naa, ii gee glei".
Dies war der Auftakt zu einem etwa eineinhalbstündigen, komprimierten Gespräch, worin sprunghaft von Thema zu Thema gewechselt wurde in dem Bestreben, ja keins auszulassen.
Der ältere Herr wußte nur zu gut, daß er seinem Gesprächspartner nicht zuviel zumuten durfte und verlor sich gar nicht erst in hochtrabende Theorien, dazu wäre später vielleicht noch die Zeit, wenn zum Beispiel der Leser seine Zeitung weglegte und sich – der Herr rieb sich im Geiste die Hände – vielleicht auch ins Gespräch mischte.
Vorerst blieb er beim Verständlich-Menschlichen und sprach als erstes von seinem Haustier, einer Katze.
„Kotzn moog ii kaa", wehrte der Hackla die zweite Fühlungnahme ab, worauf der ältere Herr die Vorzüge seines lieben Tierchens zu preisen anhob, aber schon daran dachte, dem Gespräch eine Wendung zu geben.
Bald würde man ein gemeinsames Thema gefunden haben, welches man dann miteinander lang und breit auswalzen konnte.
„Naa, kaane Kotzn – schauns, ii hoob doo beese Kindheidserinnarungan", brachte der Mann sein psychologisches Wissen ins Spiel.
Die Unfähigkeit, seine Aversion gegen Katzen zu begründen, und der Widerspruch gegen den Versuch seines Widerparts, den Katzen Menschliches anzudichten, gipfelte in der Aussage: „Aa Kotz iis aa Viech und bleibt aans".
Was der Alte zu diesem Thema noch zu sagen hatte, konnte auf keinen Fall mehr gelten, denn aa Kotz in aana Waunung haast nix, wäu dee haud ois zaumm.
Man einigte sich alsbald, daß am Lande frei lebende Katzen doch recht nützlich seien und wandte sich darauf den Hunden zu.
Der eine, ältere Sprecher, hatte einmal ein Hündchen gehabt, ein kleines niedliches, welches erstaunlich folgsam gewesen war, woraus der Herr auf eine hundsmäßig überragende Intelligenz schließen wollte. Für den anderen faungt aa Hund bein Schääfa au, ollas woos drunta iis, iis kaa Hund, doo muaßt Aungst haum, dasdn zaumstreichlst – kaunst joo nix aufaunga mid soo Schleckaln.
Die dem Ausdruck Schleckal innewohnende derbe Anspielung auf die libidinöse Bedeutung von Schoß-Hündchen für einsame Damen blieb dem älteren Herrn nicht verborgen und er vermeldete dies auch, worauf der andere meinte: „Dees iis maa noo goaneed aufgfoin, auwa jetz, woosaas soong, hahaha."
Zwischendurch war auch vom Menschen die Rede: „Daa Mensch iis eignoatig", erfuhr man da.
„Zum Wiatn gee ii weng daa Untahoidung, waunn ii an Duascht hoob, kaunn ii gee zua nextn Wossaleitung", beleuchtete der eine seine Philosophie in bezug auf Gast- und Kaffeehäuser, wozu der andere gestand, daß er schon auch gerne wegen des Trinkens hineinginge und freilich vor allem wegen des Plauderns.
Der ältere Herr verlegte sich des weiteren auf Larmoyanz und beklagte seine durch die Last der Jahre bedingte Bresthaftigkeit und zunehmende Gedächtnisschwäche, anknüpfend an seine Bemerkung: „Das erinnert mich jetzt an etwas, das mir gerade nicht einfällt."
Der Gegenüberredner benutzte die Gelegenheit, seine Kerngesundheit zu betonen, die ihm unlängst nach einer Routineuntersuchung bestätigt worden war: „II hoob – wiari woa im Spitoi – oiso ii hoob weda aa Kolestarin, oda wia dees haast, Blutdruck hoobii aa kaan, goanix" – so gesund sei er.
Leidenschaftlich wurde der Mann, als die Rede auf die Fremden kam, die in seiner Heimat Wohnung und Arbeit gefunden hatten und der Alte, welcher eigentlich vorgehabt hatte, seine eigenen Theorien ein wenig auszubreiten, dem anderen etwas mitzugeben aus der Sammlung an Erfahrungen, sah sich nun ums Wort gebracht. Seine kurzen Einwände gingen unter in Sätzen, welche mit viel „oba waunn" und „iis wieda joo und naa" und „schauns, dees iis aasoo" durchspickt waren. Zeit, die vielen „vastengans, woos ii maan" zu bestätigen, blieb dem älteren Herrn wenig.
„Daa Ööstareicha kaunn zoin und kaunn wauna auf daa Daunauinsl, daß da Tschusch sei Waunung hood, dee haum nix valuan bei uns", stand für den einen zum Beispiel fest, als der andere die Rede auf die Wohnungssituation gebracht hatte.
Über die Annahme, daß unsere Kinder in der Schule wenig lernen, wenn viele Ausländerkinder in der Klasse säßen, und die andere, daß es vielleicht sogar besser sei, daß sie nicht allzu überfordert würden, die Kleinen, also daß ihnen need soo vüü einedruckt wiad, kam man auf Kindererziehung allgemein zu sprechen.
Ein Plädoyer für eine humane Kindererziehung mußte im Ansatz schon steckenbleiben, weil ma se vo de Frotzn need sekkian lossn kann.
Immer wieder bediente sich der Mann aus dem Volke gedankenlos abgenutzter Wendungen, die zum Teil recht antisemitisch und xenophob klangen. Nicht aus wirklicher Feindseligkeit heraus, sondern aus Gewohnheit, so wie ers oft gehört hatte wiedergebend tat er dies.
Immer mehr schwand des älteren Herrn Konzentration. Er wandte eine Taktik an, die er schon zu Schulzeiten perfekt entwickelt hatte und folgte den Ausführungen seines Gegenübers mit scheinbarer Aufmerksamkeit überhaupt nicht, hätte aber dennoch auf Stichwörter hin noch einiges einbringen können ins Gespräch, wenn der andere ihn gelassen hätte.
Sein Widerpart indes hielt – wäus woa iis – eine gewaltige allgemein gehaltene Rundumsuada gegen Politiker, Beamte, Wirtschaftsleute – hoob ii need recht –, gegen alle, die dem kleinen Manne Schwierigkeiten bereiten – soog ii imma –, ließ anklingen, daß er es ihnen allen nicht leicht zu machen gedenke – bei mia need – und wie er schon einmal höherenamts seinen Standpunkt vertreten habe und auch einem Chef unverhohlen die Meinung gesagt habe – ää kloa.
Dem älteren Herrn entwich die für Einwürfe und Einwände rasch eingesogene Luft jedesmal mit einem resignierendem Seufzer.
Er blinzelte überrascht, als der Mann mit dem breiten Dialekt sich offenbar jemandem anderen zugewandt hatte, erkannte, daß er ans Zahlen ging, meinte kurz: „Lassen sie nur, das übernehme ich schon", worauf sich der Mann mit daungschee, aufwieedaschaun empfahl.
Es war dies sicher nicht die erste Erfahrung dieser Art, die der ältere Herr bei seinen zahlreichen Versuchen Gespräche anzuknüpfen, gemacht hatte, und es würde ihm gewiß bald wieder passieren, und dann würde es ihn wieder, so wie jetzt, für eine Weile ins Grübeln versetzen in dem Bemühen, dahinterzukommen, warum derlei Gespräche immer gleich verlaufen mußten.

home