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GESELLSCHAFT MIT TANZ

Zu einem guten Zweck hieß es.
Um die fremden Gebräuche kennenzulernen, erklärte man.
Und weil auch von Buffet die Rede war, entschied man hinzugehen.
Ah, erkannte man dort, die Musik ist nicht übel, und auch dieses seltsame Zeug schmeckt nicht schlecht, der Schnaps überhaupt, der hats in sich, woraus immer er destilliert sein mag. Nach etwas schmalem Gespräch bemerkte man, daß schon einige Stimmung herrschte rundum.
In Reihen tanzten die fremden Leute, die aus irgendeiner fernen Weltgegend hierher gewandert waren, weils hier selbstverständlich für alle besser ist als anderswo.
Die Tänze ihrer Heimat führten sie vor, die lieben Fremden, zu einer arg rhythmischen Musik.
Nach und nach gesellten sich einige der Eingeborenen dann zu den Ausgeborenen und tanzten mit. Für die am Rande Stehenden wars wirklich lustig anzusehen.
Alle waren dann froh, als die Musiker eine Pause machten, eine Tänzerverschnaufpause, denn diese zähen Kerle erweckten den Eindruck, als könnten sie die ganze Nacht hindurch ihr Stakkato in Tänzerbeine jagen.
Nach einiger mit Geplauder und Labung verbrachter Zeit bemerkte man, daß wieder einer eines von den langhalsigen Saiteninstrumenten ergriff, in der offensichtlichen Absicht, es zum Musizieren zu gebrauchen.
Der war aber vorher nicht dabei, bei den anderen Musikern, so ausländisch hatte keiner von denen ausgesehen, und was für unheimliche Augen der hatte.
Aber spielen konnte er, das mußte ihm der Neid lassen.
Alle Tänzer von vorhin waren sogleich wieder zu der Stelle, wo man tanzte, und sogar die sonst Zurückhaltenden zuckten und schwangen bereits ein wenig.
Manch einer mischte sich auf einen leisen Wink hin bereitwillig unter die Tanzenden, nickte kurz, streifte Würde und Schuhe ab und war auch schon drin im Getümmel.
Immer wilder musizierte Herr Feuerauge und immer heftiger schüttelten die anderen sich.
Da beschlugen sich Brillen, da troff der Speichel, da machte sich Atemnot breit, da gebärdeten sie sich wie Derwische allesamt und eine Wolke stieg auf von den dampfenden Leibern, eine Wolke, die nach Anstrengung roch.
Niemand dachte ans Einhalten, niemand mehr stand am Rande und sah zu, niemand hatte sich länger den Klängen verwehren können, und Feuerauge spielte, spielte, entriß den Saiten korybantisierende Töne.
Die Frauen wirkten alle unglaublich schön und erotisch in ihrer Hitze.
Die Männer sahen vorläufig noch Siegern gleich. Die Menge wogte, toste, zitterte – eine Wilde Jagd, der Pferde verlustig gegangen.
Äderchen platzten, Zähne lockerten sich, das war aber alles bei weitem kein Grund aufzuhören, nicht solange der Spielmann spielte.
Dicke wippten, Hagere wurden geschüttelt wie dürre Äste im Sturm. In diesem irrsinnigen Haufen, in dieser wahnwitzigen Atmosphäre, da gingen Hemmungen in Fetzen, da taumelte man der absoluten Ekstase entgegen.
Schweiß quoll in heißen Tropfen, ja spritzte nur so von den Tänzern, bunte Girlanden wanden sich durch Gehirne, die Schwelle zum Wahnsinn war nah, die urmenschlichen Verzückungen schwappten herauf, Knöchel knackten, Zungen kräuselten sich, schweißverklebte Haare flatterten, und trotzdem einige bereits mit Erschöpfung kämpften, hegten sie den Wunsch, daß dies hier nie enden möge.
Was sollten sie mit einem künftigen Leben ohne Tanz?
Die Finger des dämonischen Musikanten waren nur als Schemen erkennbar, während sie über die Saiten rasten. So schürte er weiter das Höllenfeuer, das er entfacht hatte.
Das Wort Gnade brachte keiner der von den Rhythmen Getriebenen mehr über die Lippen. Selbst die spitzen lustvollen Schreie waren verstummt. Die Luft war ihnen allen ziemlich knapp geworden. Es herrschte die allgemeine Bereitschaft in den Tod zu tanzen.
Als erster, mitten aus einer Drehung heraus, krachte ein älterer Herr zu Boden, dessen krankes Herz der Strapaze nicht länger gewachsen gewesen war.
Als zweiter klatschte einer von unleugbarer Korpulenz aufs Parkett – der war an Atemnot gestorben.
Danach fielen eine Dame um die Vierzig und ein blasser junger Mann dem wilden Rhythmus zu Opfern.
Die verbliebenen Tänzer kümmerten sich nicht um die Ausgefallenen, sie hatten zu tanzen, tanzen, tanzen, was ihr Zeug hielt.
Manches Zeug hielt nicht mehr viel.
Man umtanzte die zu Tode Erschöpften, deren Zahl sich weiter mehrte.
Wie die Priester eines atavistischen Kults tanzten sie um die Leichname.
Zuletzt hielt sich nur noch eine Frau aus dem fremden Volke auf den Tanzbeinen. Nur mehr für sie spielte anscheinend der teuflische Zauberer der Töne. Gewaltsam ruckte und drehte sie ihren Körper, als wolle sie ihm, dem Magier, beweisen, daß sie die Kraft habe durchzuhalten, daß er sie nicht zu besiegen vermochte.
Doch selbst der junge, kräftige Körper war bald ausgebrannt.
Als auch die Frau ihren Tanz am Boden beendete, erwachte der Musikant wie aus Trance, wollte aufhören zu spielen, wollte seinen blutigen Fingern endlich Ruhe gewähren.
Allein das Instrument ließ ihn nicht los.
Er mußte weiter spielen und spielen und spielen und spielen...

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