home

RECHT SO

So eine Hinrichtung ist kein Kinderschaukeln.
Da wartete der Scharfrichter ernstgemient auf Franz Karl K., seines Zeichens Delinquent, der soeben ernstgemient die Stufen zum Galgen emporschritt, gefolgt vom ernstgemienten, schwarzsoutanten seelischen Beistand.
Hinter des Henkers ernster Miene verbarg sich Mordlust im Verein mit Schadenfreude und dem für Menschen seines Schlages typischen Gottseidankichbinnichtsogefühl.
Der Henker selber nannte diese Mischung Gerechtigkeitssinn.
Wie F.K.K. dann oben stand und der seelische Beistand ihm noch ein wenig seelisch beistand und der Henker, sonst ein eher vorsichtiger und rücksichtsvoller Mensch, ungeduldig auf und ab schritt, dachte sich Karl K.: zum Henker mit dem Henker und gab dem, als er wieder an ihm vorbeikam, einen sauberen Delinquententritt.
Grunzend und seltsam langsam neigte sich der Henkersleib über den Rand des Galgenbodens.
Ächzend und unglücklich fiel der Mann in den Dreck vor dem Galgen und brach sich das Genick.
Der Pfarrer wagte nicht länger beizustehen und floh mit geschürzter Soutane, denn es konnte durchaus sein, daß einer, der soeben die Gerechtigkeit getreten hatte, sich nicht scheute, auch nach dem Glauben zu treten.
„Halt, halt, aus, Ende, Schnitt", rief ein krebszorniger Richter, „jetzt können wir von vorne anfangen".
„Wieso von vorne?" fragte der stadtbekannte Gemütsmensch und Polizeichef, „häng ich ihn halt auf!"
„Geht nicht, unmöglich", meinte der Richter, „erstens würden sie als nicht staatlich geprüfter und unvereidigter Henker sich selber strafbar machen, zweitens müssen wir den Delinquenten noch einmal aufhängen, ich meine verurteilen, für die Schandtat, die er soeben begangen hat".
„Ich mein nur, weil er die Höchststrafe sowieso schon hat", hielt der Polizeichef entgegen, „und was das Prüfen und Vereidigen angeht", könnten wir das doch unter uns... gleich hier.
„Nichts da, zurück in die Zelle mit dem Kerl, ich werde eine neue Verhandlung anberaumen."
Er beraumte und hatte sich die Verhandlung viel, viel einfacher vorgestellt.
Der Staatsanwalt natürlich plädierte auf hängen.
Der Pflichtverteidiger hingegen, einer aus den Reihen der jungen Ehrgeizigen, verfiel auf die Idee, Ks Tritt sei ein Akt der Notwehr gewesen.
Alle – Richter, Staatsanwalt, Geschworene, Kiebitze und allen voran die Presse machten jetzt viel Aufhebens um einen, der eigentlich schon längst hätte stranguliert und verscharrt sein sollen.
Aber um ihn ging es ja nicht – es ging ums Recht.
Alle Vertreter des Rechts strengten sich an, denn sie agierten und urteilten hier in einem Musterprozeß.
Sollte K. nun, im Falle, daß er einige Jährchen für Notwehr ausfaßte, zuerst die absitzen oder gleich gehenkt werden?
Im anderen Fall, falls er ein Mörder sein sollte, müßte man ihn dann zweimal hängen? ganz entgegen der Ansicht einiger, daß einmal hängen durchaus genüge.
Aber darum ging es auch nicht – es ging ums Recht.
K. selbst fand den ganzen Aufwand einigermaßen lächerlich, sprach einmal ungefragt sogar von juristischer Farce, und daß er endlich aufgehängt werden wolle. Die Geschworenen nahm dieser Zwischenruf endgültig gegen ihn ein, bestätigte ihnen, daß es sich hier um einen Menschen ohne jeden Gerechtigkeitssinn handelte, und dem wollten sie keinen Gefallen tun.
Der Verteidiger wirkte etwas irritiert, sah er doch seine Strategie unterminiert. Seine Selbstsicherheit litt erheblich und er verlor die Haare büschelweis wegen dieses verbohrten Klienten. Dem war wirklich nicht zu helfen, und der schien das zu wissen.
Der Staatsanwalt rührte alle zu Tränen, als er in seinem Plädoyer von einem Manne erzählte, der brav und gewissenhaft seinen Beruf ausgeübt hatte, dem seine Familie über alles gegangen war, über alle Berge sogar, und weiter ausführte, wie solch ein loyales, integres Mitglied unserer Gesellschaft der unmenschlichen Wut einer mordlüsternen Bestie zum Opfer gefallen war und welch häßliches Geräusch jenes beim Aufprall verursacht hatte.
Unter Schluchzen verurteilte man K. zu lebenslang bis zur Hinrichtung.
Vielleicht sollte ich hier noch anmerken, daß das Delikt, deswegen K. das erste Mal zum Tode verurteilt worden war, die Ursache hatte in einer von K. eigentlich als künstlerische Protestaktion gemeinten Performance, während der er damals Fahnen, Wappen und Wimpel aufgehäuft, entzündet und dies mit dem Deklamieren von Pamphleten gegen Staatsmacht und Herrscherhaus begleitet hatte.
Unglücklicherweise hatte sich ein alter Kriegsveteran und glühender Patriot über diese Aktion so aufgeregt, daß er einem Infarkt erlag, gerade als er anhob, K. mit seinem Stock zu schlagen.
Mehr brauchte K. nicht.
Die Presse wußte das als glatten Mord darzudrucken, und dem Staatsanwalt, den Geschworenen und dem Richter erschien der Standpunkt der Presse durchaus plausibel. Die besonderen staatszersetzenden Begleitumstände wirkten urteilsverhärtend, nicht zuletzt, weil K. seine Aktion nicht angemeldet und auch gegen feuerpolizeiliche Vorschriften verstoßen hatte.
Ks damaliger Verteidiger war auf der Hut und so kam alles wie hier beschrieben.

home